Erneuerung ist die Antwort, was war nochmal die Frage?

Wer sich durch langweilige Nachmittage der Neunziger mit Gameshows gehangelt hat, kennt noch den adrett frisierten Frank Elstner. Als Moderator der US-Franchise-Show “Jeopardy” manövrierte er neunmalkluge Studenten und Kreuzworträtsel gestählte Rentnerinnen durch allerlei zeitgenössisches Allgemeinwissen. Das Besondere bei seiner Gameshow: Nicht die Antwort wurde gesucht, sondern die Frage. Auf vorbereitete Definitionen mussten die Kandidatinnen und Kandidaten mit einem Fragesatz antworten.

Ich denke oft an Jeopardy, wenn ich die aktuelle Debatte zur Erneuerung der SPD verfolge. So wie die geführt wird, hätte man bei Frank Elstner jedes Mal groß abgeräumt: Es ist, als gäbe es hundert Antworten, die alle auf die Frage passen “Was ist die Erneuerung der SPD?”

#SPDErneuern 100
“Neue Gesichter, die die Partei nach Außen vertreten” – “Was ist die Erneuerung der SPD?”

#SPDErneuern 200
“Eine Abkehr von Hartz IV und der Politik der Schwarzen Null”- “Was ist die Erneuerung der SPD?”

#SPD Erneuern 300
“Neue digitale Beteiligungsmöglichkeiten” – “Was ist die Erneuerung der SPD?”
usw.

Warum ist das Neue besser als das Alte?

Jede dieser Antworten kann für sich richtig sein, manchmal sogar alle gleichzeitig. Jedoch führt das Frageformat nicht dazu, dass man vorankommt. Was fehlt ist die Antithese zur These, aus der erst die Synthese hervorgehen kann. Es fehlt die Erläuterung, warum das Neue besser als das Alte ist, und zwar meistens schon deswegen, weil “das Alte” gar nicht hinreichend definiert ist. Welche “alte SPD” soll denn überwunden werden? Die Clement-Schröder SPD der soziale Entsicherung und des kraftstrotzenden Führungsanspruchs? Die Gabriel-SPD des donnernden Sowohl-als-auch? Oder die sich gerade neu sortierende Nahles-SPD?

Eine sinnvolle Definition von “SPD Erneuern” muss mindestens benennen, welche Aspekte man als charakteristisch für den aktuellen Zustand der SPD begreift, welche davon es zu überwinden gilt und wohin denn die Erneuerung führen soll.
Denn eins ist klar: Kein/e politische/r VertreterIn und keine politische Handlung ist allein schon deshalb gut, weil sie neu ist. Novität ist keine qualitative politische Kategorie.

Die aktuelle Debatte zeigt auch, dass manche Erneuerungskategorien zueinander in Widerspruch stehen. Wer junge RepräsentantInnen will, kann sich nicht sinnvollerweise darüber beschweren, dass diese dann außerhalb einer Ausbildung “nichts gearbeitet” haben. Wer durch Quoten und Zielvorgaben die Bevölkerung repräsentativer abbilden will, dessen Klage über “Hinterzimmerdeals” und fehlende Kampfabstimmungen wirkt etwas wohlfeil.

Für mich stehen fünf Fragen im Vordergrund

  1. Wie tief soll die SPD in das Marktgeschehen eingreifen um gesellschaftliche Ziele zu erreichen? Welchen Grad an Auseinandersetzung mit ökonomischen Machtinteressen ist die SPD bereit dafür einzugehen?
  2. Soll die SPD eine Grundsatzreform des Sozialsystems angehen (z.B. BGE, Mindestrente, etc.) oder schrittweise Verbesserungen im Rahmen des bestehenden Sozialversicherungsstaats bewirken (Rentenniveau, ALG-Erhöhung etc.)?
  3. Stärkt die SPD die innerparteiliche Willensbildung durch bessere Delegationslegitimation (Variante Parteitag) oder geht sie auf ein Basismodell mit charismatischer Führungsfigur über (Variante Mitgliedervotum/Urwahl)?
  4. Wie verortet sich die SPD in einem zunehmend pluralistischen Parteiensystem (6-Parteiensystem?) und wie offen ist sie für nicht-traditionelle Konstellationen?
  5. Die SPD hat eine neue Vorsitzende und zahlreiche neue Vorstandsmitglieder – einen umfassenden, konfliktbehafteten Elitenaustausch allerdings gab es nicht. Einige streben einen solchen an, aber noch scheint unklar, zu wessen Gunsten. Umstritten bleibt einstweilen, ob es eine “neue SPD” mit erfahrenem Personal geben kann.

Antworten auf diese und ähnliche Fragen zusammenhängend zu formulieren wäre die Voraussetzung für ein konsistentes Erneuerungsangebot. Soweit gelangen wir nur aktuell selten. In der Praxis ist schon wieder Alltag eingekehrt. Denn im Hinblick auf die Art und Weise der Regierungstätigkeit herrscht symbolische Kontinuität; was das spezifisch Andere an der derzeitigen Koalition im Vergleich zur Vorgängerkonstellation sein soll, bleibt einstweilen noch unklar.

Ein positiver Gedanken zum Schluss: Mit dem übergeordneten Erneuerungsdiskurs ist ein ermutigender Deutungsrahmen gesetzt: Solange alle über eine veränderte SPD als Träger der politischen Hoffnungen streiten, steht nicht in Frage, ob die SPD der Akteur der Veränderung bleiben soll, sondern wie sie aufgestellt sein muss, um diesem Anspruch zu genügen.

Mehr Klarheit täte der Debatte über die Erneuerung der SPD gut – sie zu beenden wäre hingegen tödlich.

2 Kommentare
  1. Günter Thauer
    Günter Thauer sagte:

    Lieber Matthias Ecke,

    wenn es um das Reformprozess unser Tante SPD gehört, sollten wir nicht auch die “ Parteisemantik “ ändern:

    „Mit dem übergeordneten Erneuerungsdiskurs ist ein ermutigender Deutungsrahmen gesetzt“

    Vielleicht kannst Du mir erklären was ein übergeordneter Erneuerungsdiskurs ist und was Du unter einem Deutungsrahmen verstehst?

    Wenn wir die Basis wieder an die Urnen bringen wollen, dann sollten wir die konkreten Inhalte auch verständlich an die Frau und an den Mann bringen.

    Viele Grüße

    Günter

    Antworten
  2. Matthias Ecke
    Matthias Ecke sagte:

    Hallo Günter,

    mit Erneuerungsdiskurs meine ich das gesamte Reden über und sinnstiftenden Handeln in Bezug auf die Erneuerung der SPD. Ein Deutungsrahmen ist der Sinnraum, innerhaalb dem sich alle oder die allermeisten Deutungen eines Phänomens bewegen. Mein Punkt ist: Es ist ermutigend für die SPD, wenn sich im linken politschen Spektrun die Leute eher Gedanken für die Erneuerung der SPD machen (und auch Forderungen daran formulieren) als wenn sie Ihre Hoffnungen auf andere Akteure richten.

    Der Artikel beschäftigt sich nicht mit „konkreten Inhalten“ und soll auch nicht an eine allgemeine Wählerschaft gerichtet, sondern er ist nach innen gerichtet und sollte der strategischen Analyse dienen. Insofern sehe ich an der Stelle die Probleme mit leicht verständlicher Sprache nicht.

    Ich erlebe oft, dass bei analytischen Texten Sprachkritik betrieben wird. Ich sehe das anders. Nach außen gerichtete politische Formate, also ein Flyer, ein Plakat oder eine politische Rede, müssen in erster Linie allgemeinverständlich, und erst in zweiter Linie präzise sein. Bei analytischen Texten ist das umgekehrt, denke ich.

    Viele Grüße
    Matthias

    Antworten

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