Debattenportal: Die SPD hat nun online-basierte Themenforen! …oder doch nicht?
Die SPD hat heute offiziell die neue Online-Plattform „Debattenportal“ gestartet. Damit gibt der Parteivorstand den Mitgliedern die Möglichkeit, online zu vier Themenbereichen zu diskutieren und grundsätzliche Vorschläge zur Parteiarbeit zu machen. SPD++ forderte letztes Jahr die Einführung von online-basierten Themenforen. Haben wir diese nun?
Endlich kann online diskutiert werden!
Zwar hatte der Parteivorstand schon in der Vergangenheit hin und wieder Möglichkeiten der Beteiligung angeboten (die erste große Beteiligungsform gab 2011 zu netzpolitischen Positionen des SPD), eine sehr umfassende Beteiligung exklusiv für Mitglieder ist jedoch neu. Dies ist vermutlich vor allem dem SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil zu verdanken, der sich seit Jahren für mehr Online-Beteiligung einsetzt. Und obwohl manche Mitglieder schon mit den Hufen geschart haben, wann denn nun endlich die Online-Beteiligung kommt, ist der Zeitpunkt doch relativ früh (siehe unten). Denn: Neben dem Alltagsgeschäft als Regierungspartei in einer Koalition mit einer irrlichterndem CSU und den Koalitionsverhandlungen gab es sicherlich viele offene Baustellen. Nun aber, gut ein Dreivierteljahr nach dem ordentlichen Bundesparteitag im Dezember 2017, gibt es die erste Fassung der Online-Beteiligung: das Debattenportal. Dafür gilt es, trotz der folgenden Kritikpunkte, erst einmal Danke zu sagen!
Im neuen Debattenportal können die SPD-Mitglieder vor allem die Fragen der vier Lenkungsgruppen diskutieren. Es können Beiträge geschrieben werden, die kommentiert, „geliket“ oder abgelehnt werden können. Die vier Themen sind „Wachstum für alle“, „Arbeit von morgen“, „Neues Miteinander“ und „Wir in der Welt“. Als fünften Bereich gibt es „Ideen zur Parteiarbeit“. Mitmachen können nur Parteimitglieder.
An vielen Stellen gibt es noch Verbesserungspotential. Drei von diesen möchte ich hier auflisten.
1. Fehlendes Erwartungsmanagement, unklare Nachbereitung
Für die Mitglieder auf dem Debattenportal ist nicht wirklich erkennbar, was mit ihren Beiträgen geschieht, nachdem diese fleißig geliket und kommentiert wurden. Hier wiederholt sich ein Fehler, den der Parteivorstand seit Jahren begeht: Fehlendes Erwartungsmanagement und unklare Nachbereitung. Als Beispiel seien die Regionalkonferenzen nach der Bundestagswahl genannt. Die Debatten vor Ort waren gut, alle Mitglieder konnten auf Pappen ihre Ideen aufschreiben – doch niemand weiß, was mit diesen Pappen jemals geschehen ist.
In den FAQs des Debattenportals ist lediglich folgende Information zu finden:
Wir werden die Beiträge gezielt auswerten, neue Vorschläge und Ideen herausfiltern und Meinungen und Positionen aufnehmen. Dies alles wird selbstverständlich anonymisiert geschehen und alle Aspekte des Datenschutzes werden natürlich berücksichtigt. Wir werden aber schauen, ob sich die Positionen nach Alter, Geschlecht oder regionaler Herkunft unterscheiden. Diese Analysen werden einfließen in Vorbereitung des Debattencamps wie auch in die Arbeit der Lenkungsgruppen des Parteivorstandes
Wieso diese allerdings anonymisiert werden und wer, wie welche Beiträge aufnimmt ist nicht transparent. Das geht besser! Nach den Erfahrungen des Debattencamps muss dieser Punkt für dauerhafte Onlinebeteiligung geklärt werden.
Wir als SPD++ forderten in unserem Antrag, dass „die Themenforen, […] antragsberechtigt für den Bundesparteitag [sind] und […] Delegierte für den Bundesparteitag [stellen]“. Diese Forderung soll klares Erwartungsmanagement und Transparenz ermöglichen. Sie dient auch dazu, aussichtsreichen Anträgen auch eine wirkliche demokratische Legitimation zu geben. Dafür braucht es mindestens eine eindeutige Zuordnung von NutzerInnen zu einem oder mehreren Themen und die damit verbundene Möglichkeit, darin auch zurechenbare Mehrheitsentscheidungen zu treffen. Dies ist bisher nicht im Ansatz erkennbar.
2. Die User-Experience ist deutlich ausbaufähig
Das Debattenportal besteht aus vier Themenbereichen und einer Zusatzkategorie „Ideen zur Parteiarbeit“. Letztere bietet am meisten Möglichkeiten: Hier können eigene Themen (Threads) erstellt werden. Doch während die Überschrift sehr offen gehalten ist, steht in der Beschreibung „Du hast ein Aktions- oder Veranstaltungsformat entwickelt, mit dem wir mit mehr Menschen gemeinsam für unsere politischen Ziele kämpfen können?“. Dies scheinen nicht alle gelesen zu haben, denn es gibt bereits dort die ersten Forderungen nach dem Ausstieg aus der GroKo.
Danach folgen alle Threads in umgekehrter chronologischer Reihenfolge – und eben nur in dieser. Aktuell heiß diskutierte Themen oder Themen, die am meisten Likes haben sind nur schwierig zu finden, sobald es mehrere dutzende Beiträge gibt. Hier könnte das Debattenportal von Plattformen wie Reddit lernen, wo man zwischen unterschiedlichen Sortierungsmöglichkeiten wählen kann.
Bei den vier Themenbereichen gibt es weniger Möglichkeiten. Hier sieht man jeweils fünf Fragestellungen, die man dann kommentieren kann. Die Kommentare können mit den Schlagwörtern (Tags) Hinweis, Idee oder Nachfrage versehen werden. Auch hier fehlt eine gute Übersicht. Wenn z. B. auf die Frage „Wie können wir für Demokratie begeistern, und wie repräsentativ ist unsere Demokratie?“ hunderte von Kommentaren eingegangen sind, wird es schwierig sein, klar zu erkennen, was konkrete Ideen sein können. Denn: Anders als bei den Threads zur Parteiarbeit kann man hier nur in einem Textfeld bis zu 4.000 Zeichen eingeben (ein Markdown-Support fehlt leider auch). Somit können keine klaren Antworten auf die Fragen geschrieben werden und es ist zu befürchten, dass sich eher Endlosdebatten ergeben könnten.
Das Problem an der User-Experience (damit ist die Einfachheit und Funktionsvielfalt der Bedienung gemeint) ist, dass hier vor allem Mitglieder, die nur wenig Zeit erübrigen können oder wollen, benachteiligt werden. Wer viel und möglichst häufig schreibt, gewinnt höchstwahrscheinlich. Das muss dringend verbessert werden!
3. Die Funktionalität des Debattenportals ist sehr beschränkt
In unserem SPD++ zu den online-basierten Themenforen schrieben wir letztes Jahr:
Die Online-Themenforen sollen nicht nur die konkrete inhaltliche Sacharbeit an Texten ermöglichen. Vielmehr sollen diese auch der Vernetzung dienen, in dem Online-Konferenzen, Chats, aber auch klassische Konferenzen vor Ort ermöglicht werden.
Leider bietet das Debattenportal keine dieser Funktionen. Im Grunde ist nur die Beantwortung von 4×5 Sachfragen möglich – und eine allgemeine Debatte über die Parteiarbeit. Dies kann jedoch nur der erste Aufschlag sein. Um den Parteimitgliedern eine wirkliche online-basierte Beteiligung anzubieten, muss sich diese von der Beantwortung von Einzelfragen emanzipieren. Online-basierte Themenforen können mehrere Anforderungen erfüllen:
- Die orts- und zeitungebundene Teilhabe an politischen Prozessen direkt ab Beginn der Mitgliedschaft,
- Das Aufzeigen der Kompetenz innerhalb der Partei. Durch die Themenforen werden sich Mitglieder beteiligen, die aufgrund unterschiedlicher Gründe bis jetzt nur passive Mitglieder waren.
- Das Vernetzen der SPD-Mitgliedern über die klassischen regionalen Grenzen hinaus.
Mit dem Debattenportal wird nur die erste Anforderung halb erfüllt. Halb deshalb, weil ein unklarer politischer Prozess bei der Auswertung der Einreichungen erfolgt.
Wieso es dennoch gut ist, dass es das Debattenportal gibt und sich alle konstruktiv beteiligen sollten
Als Software-Entwickler weiß ich, dass das Aufsetzen eines Portals mit eben jenen Anforderungen keine leichte Aufgabe ist. Insbesondere dann nicht, wenn man eine 450.000 Menschen starke Community hat, die nicht nur sehr heterogen ist (in allen Belangen!), sondern auch unterschiedliche Online-Kompetenzen hat. Nicht ohne Grund haben wir in dem entsprechenden Antrag geschrieben, dass die entsprechende Plattform 2019 einzuführen ist.
Das Debattenportal muss im Winter deutlich weiterentwickelt werden. Es muss eine bessere User-Experience haben und es muss mehr bieten als das Beantworten von Fragen. Ebenso muss der Parteivorstand dafür sorgen, dass daraus ordentliche Prozesse entstehen können (ein Antragsrecht wurde auch auf dem Parteitag im Dezember 2017 beschlossen!).
Jedes SPD-Mitglied sollte aber derweil mit dem arbeiten, was da ist! Denn: Wird nur wenig Interesse an dem Portal gezeigt oder das Portal wenig konstruktiv eingesetzt, wird die Motivation seitens des Parteivorstands gering sein, Anstrengungen in den Ausbau des Portals zu setzen. Und dass es dieses Portal – trotz seiner Verbesserungspotentiale – jetzt gibt, ist vor allem eins: ein erster guter Schritt!
Disclaimer: Einige Mitglieder von SPD++ , so auch ich, haben zwar im Frühjahr im direkten Gespräch mit Lars Klingbeil und dem Willy-Brandt-Haus Ideen zu online-basierten Themenforen eingebracht. An dem konkreten Umsetzung des Debattenportals waren wir jedoch nicht beteiligt. Wir haben lediglich gestern, wie auch andere Genossinnen und Genossen, einen ersten Blick auf das Portal werfen können.
Vielen Dank dafür! Es ist super, dass es jetzt so eine Möglichkeit gibt und es ist super, dass es hör gleich konkrete Vorschläge zur Optimierung gibt. Ich habe im Portal selbst ja auch schon vorgeschlagen, dass Mitglieder Themen außerhalb des gesetzten Rahmens diskutieren können sollen. Die Möglichkeit, mit einer bestimmten Unterstützung Fragen, Vorschläge, Debatten von unten auf die Tagesordnung des Parteivorstands setzen zu können, fände ich sehr interessant.
Bin kein SPD-Mitglied, versuche aber zu verfolgen wie die ehemaligen Volksparteien sich dem Wandel stellen.
Wann öffnet sich die SPD in der inhaltlichen Arbeit für (Noch-)Nichtmitglieder?
Ich finde den Ansatz eines Debattenportals ebenfalls sehr sinnvoll, wenn die SPD verstärkt innovative Ideen und Impulse ihrer Mitglieder berücksichtigen möchte, ohne dass diese durch viele Ebenen in Ortsvereinen gelaufen sein müssen.
Schade, dass die Mitglieder nicht selbst Themen setzen dürfen.
Als Beispiel: Ich habe eine sehr konkrete Idee zur Umsetzung der Mietpreisbremse. Jenseits von Debattencamp oder ähnlichen Veranstaltungen gibt es jedoch keine Möglichkeit mit anderen Mitgliedern digital und unabhängig von Ort und Zeit konkret zu dieser Idee zu diskutieren.
Es würde mich freuen, wenn ihr diese Meinung gegenüber den Verantwortlichen weiter vertritt.
Wir haben 2 Arbeitskreise im KV Traunstein und kochen im eigenen Saft.
Wir suchen eine Plattform, wo spontan und unzensiert (natürlich seriös) auf Bundesebene ein Meinungsaustausch stattfinden kann.
Dies ist auf dem klassischen Parteitagsweg nicht möglich.(Parteitagsregie).
Wird sich da ein neuer Weg auftun?